Die Gräfin

Eine meiner ersten Reiseerinnerungen ist die Zugfahrt von Zürich nach Bern mit meinem Freund Hans. Ich frage mich, was wohl aus Hans geworden ist.

Meine Mutter meinte, er würde mich in der Schule auf die schiefe Bahn bringen. Sie sah in ihm eine Art Lucignolo, mit seiner unbeschwerten und schlauen Art, aber ich mochte ihn. Außerdem gefiel mir das Märchen von Pinocchio, der Marionette, nicht. Bei unseren Abenteuern in der Schule und außerhalb der Schule fühlte ich mich frei, ohne Zwänge, und konnte wirklich sein, wer ich sein wollte. Von wegen Lucignolo. Mit ihm war jeder Ausflug ein Erlebnis.

Einmal schwänzten wir in letzter Minute die Schule, Hans hatte Pech bei einer Annäherung an ein Mädchen und sagte zu mir: „Weißt du, was wir machen? Wir nehmen einen Zug und schauen, wohin uns das Schicksal führt!“ Diese Reise brachte zwar keine großen Abenteuer mit sich, aber sie war sehr schön wegen der Stimmung, die uns bis nach Hause begleitete.

Ich erinnere mich, dass ich vor dem Einsteigen am Bahnhof eine Dame bemerkte, die etwa 60 Jahre alt war, groß, von makelloser Eleganz und mit einem grauen Satin-Hut. Sie wurde von zwei Begleitern begleitet, denen sie ohne Eile mit distanzierter Freundlichkeit Anweisungen gab, um ihr Gepäck zu laden. Sie war ein wenig wie im 20. Jahrhundert gekleidet, mit hohem Kragen und einem langen, strengen Rock. An ihren Händen und Ohren trug sie recht auffälligen Schmuck.

Als Hans und ich in den Waggon stiegen, bemerkte ich, dass sie mehr als acht große Taschen geladen hatte. Sie waren alle aus dunkelbraunem Leder, prall gefüllt und glänzend, offensichtlich für die Reise gekauft. Und wunderschön.

Sie stand aufrecht im Wagen und beugte sich zum Eingang hinunter, um ihre Helfer beim Verladen des Gepäcks zu beaufsichtigen, aber als sie uns in den Wagen steigen sah, trat sie schnell beiseite. Sie musterte mich von Kopf bis Fuß, und ich erinnere mich noch gut an ihre kalten, aber jugendlichen Augen, die mich wie Butter durchdrangen, als ich die Treppe hinaufstieg. Damals war es unmöglich, dass ich rot wurde, aber vielleicht war ich ein wenig verlegen. Hans bemerkte nichts und wir gingen den Gang des Waggons entlang, auf der Suche nach jüngerer Gesellschaft.

Ich drehte mich ein letztes Mal um, um sie zu sehen, und sah sie geradeaus den Gang entlang schauen, immer noch auf mich gerichtet. Ich habe nie erfahren, wohin sie auf dieser Reise unterwegs war. Ein Urlaub? Ein Umzug? Oder einfach nur ein Besuch bei Freunden in ihrer Villa? Von diesem Tag ist mir nur das in Erinnerung geblieben. Aber es ist schon viele Jahre her.

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